Sonderrolle für städtische Events, private Veranstalter werden weiterhin gegängelt

Marcel Schweitzer
Marcel Schweitzer (Senatssprecher) - Bildnachweis: HAMBURG INSIDE

Auch vor unwahren Behauptungen schreckte man auf der Pressekonferenz am Dienstag nicht zurück, natürlich im Nachhinein nur „Missverständnisse“: den Sommer-DOM genehmigt die Stadt sich selber großzügig mit 9.500 Besuchern, alle anderen Veranstalter dürfen weiterhin maximal 250 Besucher empfangen. Auch bei der Begründung kam es wieder zu „Missverständnissen“.

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Die Landespressekonferenz (LPK) vom Dienstag fiel recht kurz aus, hatte es aber trotzdem in sich. Die Corona-Verordnung wurde fast unverändert für einen weiteren Monat verlängert. Erfreulich: für Pflegeeinrichtungen gibt es einige Lockerungen, was auf die steigende Impfquote bei den Bewohnern und Mitarbeitern zurückzuführen ist.

Ebenfalls erfreulich: dieses Jahr findet der Sommer-DOM nach vier vorausgegangenen Absagen wieder statt. Auch, wenn die Bedingungen, unter denen der DOM stattfindet, einen Besuch ziemlich einschränken, zieht mit dem DOM wieder etwas Lebensfreude in den Alltag ein.

Inzidenz steigt, Auslastung der Intensivstationen sinkt

Trotz der bundesweit steigenden Inzidenz (Hamburg ist hier trauriger Spitzenreiter), geht die Belastung der Intensivstationen gleichzeitig zurück – in Hamburg konnten letzte Woche zwei Patienten entlassen werden, in ganz Hamburg befinden sich mit heutigem Stand nur noch 14 Patienten (DIVI Ländertabelle) in intensivmedizinischer Behandlung.

Der Entscheidung, den DOM stattfinden zu lassen, steht momentan also nichts im Wege. Der Senat scheint endlich begriffen zu haben, dass die Inzidenz bei weitem nicht mehr das ausschlaggebende Argument sein darf, sondern die Lage in den Krankenhäusern berücksichtigt werden muss.

Beschränkungen gelten nur für andere, Stadt nimmt sich selber großzügig aus

Wer nun aber denkt, dass der Senat die Rolle, die er sich selber für den DOM – der von der Behörde für Wirtschaft und Innovation (BWI) organisiert wird – genehmigt hat, auch anderen zugesteht, der muss sich eines besseren belehren lassen: während der Sommer-DOM täglich 9.500 Besucher empfangen darf, dürfen alle anderen Veranstalter weiterhin maximal 250 Besucher empfangen.

Weiterhin wurde auf der LPK erklärt, dass jeder Besucher des DOMs vorher ein Online-Ticket erwerben muss. Das Ticket an sich ist zwar kostenfrei, wird aber zwingend benötigt, um den DOM besuchen zu können.

Die Abwicklung dieses Online-Tickets erfolgt über den privaten Dienstleister rami.io GmbH aus Heidelberg, welcher dafür sein eigenes Onlineticketsystem „pretix“ nutzt.

Auch beim Datenschutz: Messen mit zweierlei Maß

Daran ist nichts schlecht oder falsch, aber jeder Besucher muss die Möglichkeit haben, selber zu entscheiden, ob er diesem privaten Dienstleister seine Daten zur Verfügung stellen möchte, oder nicht.

Überall dort, wo eine Kontaktnachverfolgung vorgeschrieben ist, soll diese nach Wunsch des Senates möglichst digital erfolgen; jeder Besucher muss aber auch die Wahl haben, seine Daten analog zu hinterlassen.

Für den Sommer-DOM soll das nach Ansicht der BWI nicht gelten, der zuständige Referent der BWI, Sören Lemke, erklärt dazu auf der LPK: „Es gibt keine Alternative zu dem System“. Später wird diese Aussage von einer Pressesprecherin als „Missverständnis“ dargestellt.

Andreas Rieckhof, Staatsrat für Wirtschaft, ergänzt, wie wir meinen, relativ arrogant: „Es gibt keinen Zwang, den Hamburger DOM zu besuchen“. Etwas direkter formuliert heißt das, wem das nicht passt, der darf den DOM eben nicht besuchen.

Es ist zwar richtig, dass niemand den DOM besuchen muss, aber was die beiden Herren der BWI dabei komplett ausblenden, ist, dass auch Behörden sich selbstverständlich an die Datenschutzgrundverordnung (DS-GVO) zu halten haben. Jedes kleine Café, jede Bar, jeder Einzelhändler: alle müssen ihren Besuchern die Wahl bieten, ihre Daten nicht digital, sondern analog zu hinterlassen – das ist gesetzlich vorgeschrieben.

Wir wollten daher wissen, ob der Hamburger Datenschutzbeauftragte in dieses Verfahren eingebunden gewesen ist, was der zuständige Referent mit „Wir haben den Datenschutz informiert“ bejahte. Das klang für uns so unglaubwürdig, dass wir beim Datenschutzbeauftragten nachgefragt haben.

Unsere Skepsis war berechtigt, der Hamburger Datenschutzbeauftragte erklärte sehr eindeutig, dass er die Vorgehensweise der BWI (Onlineticket oder kein DOM-Besuch) für rechtswidrig hält, und weiter: „Der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit war in diesem Verfahren nicht eingebunden“.

Immerhin: der Datenschutzbeauftragte hat unsere „Anfrage zum Anlass genommen, mit der BWI in Kontakt zu treten und in dieser Angelegenheit zu verschiedenen aus unserer Sicht problematischen Aspekten Rückfragen zu stellen“.

Unwahrheit oder Missverständnis?

Wir haben das BWI mit dieser Stellungnahme konfrontiert, im Nachhinein war von einem weiteren Missverständnis die Rede: „Offenbar ist es auf der Pressekonferenz zu einem Missverständnis über die Einbindung des Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit gekommen. Der Vorgang wurde mit dem behördlichen Datenschutzbeauftragten abgestimmt. Eine Einbindung des HmbBfDI ist nicht erfolgt und war auch nicht rechtlich gefordert“, erklärte die Pressesprecherin der BWI.

Aus unserer Sicht ist ein eindeutiges „ja“ aber kein Missverständnis, sondern die Unwahrheit, wenn die Antwort „nein“ hätte lauten müssen.

Wenigstens ein kleiner Lerneffekt: man hat wohl erkannt, dass das eigene Vorgehen rechtlich nicht haltbar ist, es wird zum Sommer-DOM auch für Familien ohne Internetzugang und/oder Smartphone die Gelegenheit geben, ihre Daten analog zu hinterlassen und den DOM zu besuchen.

Auf der anderen Seite heißt das allerdings auch, dass der behördliche Datenschutzbeauftragte das Fehlverhalten seiner eigenen Behörde nicht erkannt hat oder nicht erkennen wollte. Ob er für die Position geeignet ist, erscheint daher höchst zweifelhaft.

Staatsrat und Senatssprecher kennen die eigenen Corona-Regeln nicht

Wir wollten daher wissen, wie es zu dieser Sonderrolle für den DOM kommt. Warum genehmigt die Stadt sich selbst 38 mal so viele Besucher, wie für alle anderen Veranstalter? Warum sind Open-Air-Events nach wie vor auf 250 Besucher beschränkt, der DOM aber nicht?

Grund sei laut des Staatsrates ein „dynamisches“ und „flexibles“ Schutzkonzept – wo der Unterschied zwischen diesen beiden Adjektiven liegt, bleibt wohl sein Geheimnis. So ein Schutzkonzept muss allerdings auch für jedes andere Open-Air-Event erstellt werden (§ 15a Nr. 2 Corona-Verordnung). Sollte ein Staatsrat eigentlich wissen.

Der Senatssprecher, Marcel Schweitzer, versuchte sich in einer weiteren Erklärung, indem er darauf verwies, dass wir ja etwa eine halbe Stunde lang gehört hätten, wie der DOM stattfinden soll. Klar, haben wir gehört, aber es wurde nicht erklärt, was den DOM dabei von Open-Air-Events unterscheidet.

Ihm sprang daher erneut der Staatsrat zur Seite und erklärte, dass der DOM eingezäunt sei und der Zu- und Abgang daher kontrolliert werden könne, das sei „die große Unterscheidung“. Natürlich ist das auch für andere Open-Air-Events vorgeschrieben (§ 15a Nr. 7 Corona-Verordnung).

Einmal mehr demonstriert der Staatsrat, dass er die eigenen Corona-Regeln offensichtlich nicht kennt, aber „die Erklärung ziemlich plausibel findet“. Auf uns wirkt so eine Unkenntnis der eigenen Corona-Regeln, aber das gleichzeitige „plausibel-finden“, recht befremdlich.

Der Senatssprecher hat sich in einer weiteren Erklärung versucht: auf dem DOM darf Alkohol nur an festen Sitzplätzen konsumiert werden, man könne also nicht „sturzbesoffen“ mit anderen Besuchern „kuscheln“, was bei Open-Air-Events erlaubt wäre.

Auch damit offenbart er seine Unkenntnis der Corona-Regeln, denn auch auf Open-Air-Events darf ausschließlich an festen Sitzplätzen Alkohol getrunken werden (§ 15a Nr. 8 Corona-Verordnung), ganz genau so, wie auf dem DOM. Sollte ein Senatssprecher eigentlich wissen.

Hygienekonzept ist offensichtlich Geheimsache

Das Hygienekonzept des Sommer-DOMs muss es in sich haben – immerhin erlaubt es der Stadt, die 38-fache Besuchermenge zu empfangen. Wir haben daher die BWI gebeten, uns dieses unglaubliche Konzept zur Verfügung zu stellen.

Um so erstaunter waren wir, als wir eine Absage erhielten: das Konzept kann – wenn überhaupt – erst nach dem DOM zur Verfügung gestellt werden. Nach Auffassung der BWI würde es die Durchführung des DOMs unmöglich machen, wenn das Konzept während des DOMs bekannt werden würde; der DOM wäre dann nicht mehr sicher. Warum das so sei, das konnte man auch auf mehrfache Nachfrage nicht beantworten.

Unsere Vermutung: das Konzept unterscheidet sich nicht von anderen Konzepten; wie denn auch, die Anforderungen an das Konzept sind in der Corona-Verordnung definiert und gelten für alle Veranstalter gleichermaßen.

Es würde wohl eher bekannt werden, dass sich das Konzept von denen anderer Open-Air-Events in keiner Weise unterscheidet und die Stadt sich unbegründet eine Sonderrolle herausnimmt.

Wir haben daher eine Anfrage nach dem Hamburger Transparenzgesetz gestellt und werden die Herausgabe nötigenfalls auch einklagen. Fortsetzung folgt.