Klartext: Der Senat muss endlich lernen, Fehler einzugestehen

Bürgermeister Peter Tschentscher
Bürgermeister Peter Tschentscher - Bildnachweis: Senatskanzlei Hamburg

Politiker haben mit mehreren Dingen so ihre Probleme, unter anderem damit, Fehler einzugestehen. Besonders wenn Menschenleben und Existenzen auf dem Spiel stehen, sollten das Image oder das Ego einer gesunden Fehlerkultur nicht im Wege stehen. Auch der Wahlkampf muss zurücktreten.

Hamburg hat sich irgendwann zwischen Januar und März diesen Jahres ganz still und heimlich der Zero-Covid-Strategie verschrieben. Keine Erklärung dazu, keine Mitteilung an die Medien, man hält einfach weiterhin große Teile der Wirtschaft und der Freizeit im Lockdown, während um uns herum kaum noch Einschränkungen gelten.

In Hamburg ist es nach wie vor nicht erlaubt, in Clubs feiern zu gehen, obwohl es dafür ausgefeilte Konzepte gibt. Viele Betreiber haben Luftfilter verbaut, die man in den Hamburger Klassenzimmern selbst jetzt immer noch vergeblich sucht.

In den Restaurants gibt es im Innenbereich eine Sperrstunde ab 23 Uhr, wer Außenflächen hat, darf diese weiter bewirtschaften, vorausgesetzt, die Konzession und die Nachbarschaft erlauben das. In den Gebieten, in denen sich sogar während des zweiten Weltkrieges die Leute noch getroffen haben, darf allerdings ab 23 Uhr kein Alkohol mehr ausgeschenkt werden – den sogenannten „Hotspots„.

Vornehmlich sind das die Reeperbahn und angrenzende Straßen, der Jungfernstieg und die Sternschanze. Auch im Stadtpark ist ab 21 Uhr Schluss mit Alkohol, die Staatsmacht riecht auch hier und dort mal an einem Eistee, um sicherzustellen, dass die Regelung eingehalten wird.

Ab 21 Uhr darf man in den Hotspots sogar nicht mal mehr Alkohol mit sich führen – wer es trotzdem tut, muss mit einem Bußgeld rechnen, sofern er denn erwischt wird. Hier schreckt die Polizei auch nicht vor Durchsuchungen auf offener Straße, sichtbar für jeden anderen Besucher, zurück. Klar, alles Infektionsschutz. Dafür ist sicherlich niemand Polizist geworden, der Frust wächst auch innerhalb der Polizei täglich.

Wer jedoch 3,40 Euro in eine HVV-Fahrkarte investiert, kann mit der U1 nach Norderstedt fahren und dort auch nach 23 Uhr noch in einem Restaurant einkehren, oder sogar Feiern gehen. Feiern gehen ist – draußen – in Hamburg zwar theoretisch erlaubt, aber in der Praxis eigentlich nicht durchführbar.

Der Senat verkauft sich dabei gern als „Team Vorsicht“, schließlich diene das ja alles einem guten Ziel: die Überlastung des Gesundheitssystems soll verhindert werden. Würde man mich fragen, würde ich den Senat als „Team in-was-verrannt“ bezeichnen.

Wenn man dabei nämlich berücksichtigt, dass von knapp zwei Millionen Hamburgern grade einmal 18 Intensivpatienten (Stand: 10. August) mit oder wegen Corona behandelt werden, muss man sich schon fragen, ob diese 18 Patienten wirklich dafür sorgen, dass die 21 Krankenhäuser mit ihren derzeit 538 Intensivbetten an ihre Grenzen stoßen. Vermutlich eher nicht.

Infektionen finden, wie seit über einem Jahr bekannt ist, fast ausschließlich im Innenbereich statt, seit einigen Wochen kommen die Reiserückkehrer dazu. Der gesunde Menschenverstand fragt sich nun, wieso die Politik nicht alles dafür tut, die Leute möglichst lange an der frischen Luft zu halten: dort herrscht eine nahezu nicht mehr vorhandene Infektionsgefahr, es findet ein reger Luftaustausch statt und eventuelle Viren verteilen sich sofort. In Kinos, Sportvereinen, Gastronomien, etc., gibt es sogar eine Kontaktdatenerhebung.

Stattdessen sorgt der Senat mit seinen absurden Regeln dafür, dass es ab 23 Uhr zwei Phänomene gibt:

  1. Im Bereich Reeperbahn findet eine Massenwanderung statt: mehrere tausend Besucher ziehen zwischen 23 und 1 Uhr von der gesamten Reeperbahn unaufhörlich in die Gerhardstraße, keine 10 Meter vom Hans-Albers-Platz entfernt. Auf dem Hans-Albers-Platz gilt ab 23 Uhr das Alkoholausschankverbot, in der Straße nebenan nicht. Die BILD, von der man halten kann, was man will, hat das mal sehr treffend als „Bier-Äquator von St. Pauli“ bezeichnet. Anstatt die Leute also auf einem mehreren Hektar großen Bereich verteilt zu lassen, mit ausreichend Abstand, drängt man diese nun mehr oder minder in eine einzige Seitenstraße, dicht an dicht stehend. So dicht stehend, dass die Polizei diese Straße vor zwei Wochen sogar komplett absperren musste, um den Zulauf zu verhindern. Ergebnis: mehrere hundert Menschen stauten sich, ebenfalls dicht an dicht, vor der Absperrung. Glanzleistung der Politik.
  2. Die wenigen, die von der Gerhardstraße noch nichts gehört haben, versammeln sich mit mehr oder minder größeren Grüppchen in privaten Wohnzimmern. Kein Fenster auf, um nicht auf sich aufmerksam zu machen, keine Frischluft, keine Kontaktdatenerhebung, ebenfalls eng an eng. So von der Politik gewollt.

Und dann verkündet die gleiche Politik ganz verdutzt, dass man das „diffuse Infektionsgeschehen“ nicht weiter eingrenzen könne, schließlich habe man ja schon deutschlandweit die strengsten Regeln.

Dass aber genau das der Grund für die hohen Infektionszahlen sein könne, das will man nicht hören. Seit Monaten plädieren Aerosolforscher, Epidemiologen, ja sogar die Polizei dafür, den Leuten Ausweichflächen bereitzustellen.

So allmählich sollte der Senat mal über seinen Schatten springen und eingestehen, dass das ewige Vertreiben der Hamburger aus dem öffentlichen Raum eine saublöde Idee gewesen ist. Die Leute müssen nach draußen, an die frische Luft, sie brauchen Möglichkeiten, sich regelkonform zu treffen. Im besten Fall mit einer funktionierenden Kontaktdatenerhebung.

Vom Bürgermeister scheint das allerdings zu viel verlangt zu sein: stur hält er an seinen Regeln fest, ignoriert Medienanfragen, ob es für seine Regeln denn belastbare Zahlen gibt und greift auf Pressekonferenzen sogar Journalisten an, die dann doch mal kritisch nachfragen.

Natürlich nicht auf sachlicher Basis, sondern auf persönlicher Ebene. Eines gewählten Volksvertreters unwürdig.


Meinungsartikel geben die persönliche Einstellung des Autoren, bzw. der Autorin, wieder und müssen sich nicht zwangsläufig mit der Meinung von HAMBURG INSIDE decken.

Autor:

Christopher Siebert

Politik, Gesundheit, Events, ÖPNV

Christopher hat HAMBURG INSIDE im März 2020 ins Leben gerufen und schreibt auch heute noch viele Artikel für HAMBURG INSIDE. Unbequeme Fragen im politischen Bereich zeichnen ihn auf den Landespressekonferenzen aus 😉