Klartext: Der Senat macht sich jeden Tag unglaubwürdiger

Dr. Peter Tschentscher auf der LPK vom 1. Juni 2021
Dr. Peter Tschentscher auf der LPK vom 1. Juni 2021 - Bildnachweis: HAMBURG INSIDE

Der Innensenator und der Bürgermeister gaben Dienstag bekannt, dass wegen der chaotischen Zustände auf der Schanze vom Wochenende zuvor Konsequenzen folgen würden: „Hotspots“ müssten definiert werden, dort wird das öffentliche Leben so madig gemacht, dass ein Aufenthalt keinen Spaß mehr bringt. Teile St. Paulis sollten ebenfalls dazu zählen, aber eben nur Teile. Heute dann die Überraschung: die gesamte Reeperbahn wird in Sippenhaft genommen. Wie soll man solchen Politikern noch vertrauen?

Es ist bei weitem nicht das erste Mal, dass der Senat, geführt vom Bürgermeister Dr. Peter Tschentscher (SPD), durch Aussagen auffällt, die später über den Haufen geworfen werden. Auch mit Zusagen auf Pressekonferenzen hat es der Senat nicht so wirklich, Anschuldigungen gegen Journalisten, auch von HAMBURG INSIDE, werden vor allen Anwesenden schnell mal erhoben, die Erklärung, dass es sich um ein „Missverständnis“ gehandelt haben soll, die gibt es dann nur ganz im Stillen später per E-Mail.

Dass die chaotischen Zustände vom letzten Wochenende Konsequenzen haben müssen, ist klar – auch ohne Corona wäre so ein Verhalten absolut indiskutabel. Spätestens ab dem Moment, wo Polizisten mit Flaschen beworfen wurden, ist eine Grenze überschritten worden.

Auch richtig ist, dass viele der Gastronomen im Bereich Sternschanze eher einen, nennen wir es mal neutral „etwas lockeren Umgang“ mit den Corona-Regeln pflegen. Dass Bierzeltgarnituren komplett mit Gästen besetzt werden, obwohl nur fünf Personen an einem Tisch sitzen dürfen, geschieht nicht aus Versehen oder unbemerkt. Auch die beim Personal vorgeschriebenen Masken fallen dem Personal nicht einfach so vom Gesicht. Man muss die Regeln weder gut finden, noch für sinnvoll halten. Man muss sie aber, so lange sie gelten, befolgen, oder sich aber einen Anwalt nehmen und gerichtlich dagegen vorgehen.

In der Konsequenz wurden laut Aussage des Innensenators Andy Grote, ebenfalls SPD, etwa 25 Betriebe geschlossen. Das ist übrigens der Innensenator, der mitten in der Corona-Pandemie anlässlich seiner Wiederernennung selbst zu einer – illegalen – Party eingeladen hat. Anfangs wies er jede Kritik zurück, musste dann aber doch ein Bußgeld zahlen und bat schließlich um Entschuldigung – was blieb ihm auch anderes übrig. Dass sein Parteifreund ihn nicht umgehend entließ, sorgt bis heute bei vielen für Unverständnis: wie soll man jemanden ernst nehmen, der öffentlich die Einhaltung von Corona-Regeln fordert, selber aber offensichtlich nicht viel auf selbige gibt.

Grote kündigte gemeinsam mit dem Bürgermeister auf der Landespressekonferenz (LPK) vom Dienstag an, dass zu diesem Wochenende „Hotspots“ definiert werden. An diesen Hotspots gelten verschärfte Regeln, so ist bereits das bloße Mitführen von Alkohol ab 20 Uhr verboten, ebenso wie der Verkauf von „Alkohol 2 Go“. Und, das dürfte alle am meisten schmerzen, auch der Ausschank von Alkohol in der generell geöffneten Außengastronomie ist ab 23 Uhr untersagt.

Auf meine Nachfrage, ob diese Verbote denn nun wieder alle treffen, weil es ein paar Idioten unter den Gastronomen gibt, oder der Senat hier wieder die große Keule schwingt und alle für das Fehlverhalten einiger bestraft, gab es anfänglich keine klare Aussage. Später stellte Grote jedoch klar: diese Hotspots sollen „den Kernbereich des Schanzenviertels und einige Teile von St. Pauli betreffen“. Etwas konkreter wurde Grote damit, dass man davon „ausgehen“ könne, dass es die Bereiche betrifft, in denen auch die Lokale geschlossen werden mussten.

Für den Bereich der Reeperbahn klang das erst Mal gut – dort lief es, das musste der Innensenator auch eingestehen, weitestgehend ruhig und gesittet ab. Am Samstag waren auf der Reeperbahn kaum Polizisten zu sehen, der Lagedienst sprach auch von einer entspannten Situation.

Heute dann der große Hammer: alles, was Dienstag vom Innensenator und Bürgermeister gesagt wurde – Schall und Rauch.

Die neue Corona-Verordnung verbietet auch auf nahezu der gesamten Reeperbahn mit ihren Seitenstraßen den Ausschank von Alkohol nach 23 Uhr. Faktisch hat der Senat damit – wieder – eine Sperrstunde geschaffen, ohne sie als solche zu bezeichnen. Meine persönliche Vermutung: aus Angst vor Gerichtsverfahren. Eine Sperrstunde dürfte in Anbetracht der entspannten Zahlen von Gerichten sofort kassiert werden.

Nun kann man argumentieren, dass die Gastronomen ihre Lokale ja durchaus länger öffnen dürfen, nur halt keinen Alkohol mehr ausschenken können. Jeder Mensch, der nicht völlig weltfremd lebt, wird sich aber denken können, dass sich der Betrieb eines Lokales mit Cola, Wasser, Tee und Fanta nicht funktioniert. Da auch das Mitbringen und Trinken von eigenem Alkohol (was übrigens generell begrüßenswert ist) verboten ist, wars das mit der Reeperbahn ab 23 Uhr.

Vom Senat wollte ich daher wissen, woher der plötzliche Sinneswandel kommt, warum diese Änderung nicht frühzeitig kommuniziert wurde, und wieso ein Bereich, der sich an alle Regeln gehalten hat und keine nennenswerten Polizeieinsätze zu verzeichnen hat, nun erneut leiden muss. Statt einer Antwort auf meine Fragen erhielt ich einen Anruf von einem Pressesprecher der Innenbehörde, an die der Senat die Anfrage kommentarlos weitergeschoben hat.

Auch, wenn das Gespräch durchaus freundlich und angenehm war, blieb eine bittere Erkenntnis: es gibt keine sachlichen Gründe für dieses Vorgehen. Man wolle einer „Verdrängung“ vorbeugen, ich würde so etwas als Präventivmaßnahme bezeichnen. Das Problem an der Sache: so funktioniert unser Rechtsstaat nicht. Man kann Leute nicht für etwas bestrafen, was sie nicht begangen haben; genau das tut der Senat aber, auch, wenn er sein Vorgehen natürlich anders bezeichnet haben möchte.

Natürlich werden die Menschen, die auf der Schanze keinen Platz mehr finden, ihr Glück auf der Reeperbahn versuchen – der Weg ist nicht weit. Die letzten beiden Wochenenden haben aber deutlich gezeigt, dass die Gastronomen dort ihre Pflicht – ganz offensichtlich – deutlich verantwortungsvoller wahrnehmen, als es auf der Schanze (nicht) passiert ist.

Aber hilft das alles? Ich denke nicht. Meine persönliche Vermutung: die Menschen werden sich in die kleineren Seitenstraßen verlagern, die von dem Verbot nicht betroffen sind. Oder wandern in Richtung Hafen. Geholfen ist damit niemandem, schaden tut es aber vielen.

Wenn man auf das Wort eines Bürgermeisters und seines Innensenators nichts mehr geben kann, auf was soll man sich dann noch verlassen können?


Meinungsartikel geben die persönliche Einstellung des Autoren, bzw. der Autorin, wieder und müssen sich nicht zwangsläufig mit der Meinung von HAMBURG INSIDE decken.

Autor:

Christopher Siebert

Politik, Gesundheit, Events, ÖPNV

Christopher hat HAMBURG INSIDE im März 2020 ins Leben gerufen und schreibt auch heute noch viele Artikel für HAMBURG INSIDE. Unbequeme Fragen im politischen Bereich zeichnen ihn auf den Landespressekonferenzen aus 😉