Karlsruhe – In den letzten Tagen verbreiten sich die Gerüchte, dass mehrere Richter gegen die Corona-Maßnahmen klagen. Konkret geht es um einen Juristen, der als Richter am Berliner Landgericht tätig ist und eine sehr umfassende Verfassungsbeschwerde eingereicht hat – 190 Seiten zählt die Beschwerde, ohne Anhänge. Was hat es damit auf sich?
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Das Vorgehen hat eine besondere Brisanz: ein promovierter Jurist, der selbst als Richter tätig ist, also ein ausgewiesener juristischer Experte, legt seinen Kollegen in Karlsruhe eine Beschwerde vor, die es in sich hat. Er moniert das aktuelle Vorgehen der Bundesregierung und der verschiedenen Landesregierungen an verschiedenen Stellen, beschäftigt sich intensiv mit den Maßnahmen und untermauert seine Beschwerde mit Fakten, Daten und Zahlen. Mit dem Hinweis auf Verschwörungstheorien kann man das Schriftstück also nicht einfach beiseitewischen.
Es ist das erste Mal, dass ein erfahrener Jurist sich in dieser Tiefe mit den aktuellen Maßnahmen der Regierung beschäftigt und umfassende Kritikpunkte, die sowohl sachlich, wie auch juristisch, umfassend begründet sind, dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorlegt.
Er lässt es sich auch nicht nehmen, dem BVerfG vorzuhalten, dass der wissenschaftliche Dienst des Bundestages selber schon zu dem Schluss gekommen ist, dass das aktuelle Vorgehen der Bundesregierung verfassungswidrig ist. In der Folge weist er auf offensichtliche Rechtsfehler hin und kommt zu dem Schluss, dass die Bundes- und Landesregierungen seit langem fernab jeglicher rechtlichen Grundlage handeln. Übrigens eine Meinung, die in letzter Zeit von immer mehr Juristen geteilt wird.
In diesem Artikel wollen wir die Beschwerde verständlich zusammenfassen und die Argumentation besprechen – und das verständlich und nachvollziehbar, auch für Nicht-Juristen.
Wer ist der Beschwerdeführer?
Die Verfassungsbeschwerde wurde von Dr. Pieter Schleiter eingereicht. Dr. Schleiter wohnt in Brandenburg und arbeitet als Richter am Landgericht Berlin.
Seiner Stelle am Berliner Landgericht sind Stationen in Nienburg (Zivilsachen) und Syke (Strafsachen) vorausgegangen, nachdem er erste Erfahrung als Anklagevertreter im Jugendstrafrecht (Jugendstaatsanwalt) gesammelt hat.
Vor kurzem gründete er das „Netzwerk kritische Richter und Staatsanwälte“, bei welchem es sich nach eigener Darstellung um ein schnell wachsendes Netzwerk von Richtern und Staatsanwälten handelt, die das politische Handeln und das Handeln der Gesetzes- und Verordnungsgeber in der Corona-Krise aus rechtsstaatlicher Sicht mit großer Sorge beobachten.
Zuständige Landes- und Bundesbehörden verweigern bisher jegliche Auskunft
Vor seiner Verfassungsbeschwerde hat Dr. Schleiter es auf weniger „harten“ Wegen versucht. Nachdem er zu Beginn der Pandemie auch „auf Regierungskurs“ lag und das Handeln der Politik unter Berücksichtigung dessen, da…