Dauer-Lockdown – wie sieht die Zukunft aus?

Gesundheitsminister Jens Spahn
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) - Bildnachweis: DBT / Simone M. Neumann

Die Politik wirkt zunehmend planlos, Zusagen werden schon nach wenigen Tagen über den Haufen geworfen – Verlässlichkeit sieht anders aus. Die Zustimmungswerte zur Corona-Politik von Bund und Ländern nehmen ab. Entwickelt sich der Lockdown zur Ewigkeit? Was für Alternativen gibt es?

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„Lockdown light“ hat sich bereits zum Dauerzustand entwickelt

Zum November des vergangenen Jahres hat die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) gemeinsam mit der Bundeskanzlerin einen „Wellenbrecher-Lockdown“ beschlossen. Für 14 Tage sollte das öffentliche Leben weitestgehend heruntergefahren werden, auch von „Lockdown light“ war die Rede. Was an diesem Lockdown light gewesen sein soll, bleibt bis heute ein Rätsel. Die Wirtschaft hat stets klare Worte gefunden, light war und ist an diesem Lockdown nichts, unzählige Existenzen und Jobs wurden vernichtet.

Friseure dürfen zwar zum 1. März wieder öffnen, aber was bringt das allen anderen Branchen, die nach wie vor unter einem Berufsverbot leiden? In den sozialen Medien sammeln sich sarkastische Kommentare: „Gott sei Dank machen die Friseure wieder auf. Dann können die ganzen Köche, Gastronomen, Kellner, Musiker, Künstler und Eventleute am 1. März frisch gestylt ihre Insolvenzanträge abgeben“.

Aus den 14 Tagen ist mittlerweile schon über ein Vierteljahr geworden, ein Ende ist nicht in Sicht. Der Lockdown entwickelt sich zu einer Dauereinrichtung, die Politik wird nicht müde, zu betonen, dass es anders nicht ginge. Immer wieder wird an die Disziplin und das Durchhaltevermögen der Bevölkerung appelliert, die „Mutanten“ seien Schuld, es werden Horrorszenarien gemalt.

Politik der Angst?

Dass die Regierung schon frühzeitig ein Konzept hat entwickeln lassen, das Horrorszenarien skizzieren soll, um das eigene Handeln zu legitimieren, ist zwar seit dem Leak eines ursprünglich als geheim eingestuften Papiers bekannt geworden, findet in den Medien aber kaum Beachtung. Und wenn man doch mal darüber berichtet, nun, Sie ahnen es, dann wird man schnell in die Ecke von Corona-Leugnern gestellt. Das betrifft Medienschaffende genau so, wie alle anderen auch.

Dabei geht es keineswegs darum, die Existenz von Corona zu leugnen, oder in Abrede zu stellen, dass es sich um eine Infektion handelt, die in etwa 3 % aller Fälle auch tödlich verlaufen kann – jeder Tote ist einer zu viel. Mit Stand vom 15. Februar 2021 liegt die Fallsterblichkeitsrate in Deutschland übrigens bei 2,78 %, wie die Johns Hopkins University ermittelt hat.

Zum Vergleich: 2002 lag die SARS-Sterblichkeitsrate bei 9,6 %, 2012 bei MERS: 34,4 %, und die Vogelgrippe hatte 2013 sogar eine erschreckende Sterblichkeitsrate von 39,3 %.

Man muss daher stets alle Seiten betrachten, besonders, wenn die bisherigen Maßnahmen ganz offensichtlich nicht greifen, oder zumindest nicht im erwarteten Rahmen greifen.

Man kann nicht immer und immer wieder das Gleiche tun, aber ein anderes Ergebnis erwarten. Doch genau das tut die Regierung derzeit. Wie soll das funktionieren?

Viren mutieren immer, ist die Panik berechtigt?

Lange Zeit galt ein Inzidenzwert von 50 als das ersehnte Ziel, um die massiven Grundrechtseinschränkungen zurückzunehmen. Ein klar kommuniziertes Ziel, das jeder, zumindest vom Hören her, kannte.

Auf einmal jedoch, quasi über Nacht, hat die Politik sich selbst, ohne Beteiligung von Wissenschaftlern, ein neues Ziel gegeben: eine Inzidenz von 35 müsse „längerfristig und stabil“ erreicht werden, bevor über Lockerungen entschieden werde könne.

Darüber, was denn langfristig und stabil bedeute, machte sich die Bundeskanzlerin offensichtlich erst in einer Pressekonferenz Gedanken, „irgendwas zwischen drei und fünf Tagen“ müsse der Wert unter 35 liegen, antwortete sie etwas irritiert auf die Frage eines Journalisten. Der mathematik-begabte Zuhörer kam also schnell auf die Zahl vier.

Aber auch diese Aussage sollte keinen langen Bestand haben, schon zwei Tage nach dieser Pressekonferenz wurde aus den vier Tagen auf einmal etwa eine Woche. Vielleicht aber auch zwei, das wisse man noch nicht so genau. Dass man sich über die Grundlagen, anhand derer Grundrechte beschränkt werden, erst auf Frage eines Journalisten Gedanken macht, ist mehr als fragwürdig. Es zeigt, wie planlos die Politik auch heute, nach über einem Jahr Lockdown-Erfahrung, handelt.

Die Begründung: man kann die Mutanten (vor Corona hießen die Mutanten übrigens ganz sachlich-neutral Virus-Varianten) noch nicht einschätzen. Von ihnen ginge eine große Gefahr aus, sie seien besonders gefährlich.

Total verkannt wird dabei allerdings, dass Mutationen etwas total natürliches sind. Wir kennen es jedes Jahr von der Grippe: die Schutzimpfungen müssen wiederholt werden, weil sich das Grippevirus jedes Jahr anpasst und damit auch verändert.

Detlev Krüger, der bis 2016 die Virologie an der Berliner Charité führte, findet in einem Gespräch mit dem FOCUS deutliche Worte: die Entscheidung sei aus Angst getrieben und nicht wirksam, um die Pandemie einzuschränken. Außerdem würden Folge- und Kollateralschäden keine Berücksichtigung finden. In einem Gespräch mit der Welt erklärte er dazu:

„Wenn Tumorpatienten nicht mehr operiert werden können – in der ersten Welle war das nach Angaben der Deutschen Krebsgesellschaft bei 50.000 der Fall – wenn die Suizidrate steigt und wenn Kinder vernachlässigt werden, dann führt das zu ernst zu nehmenden Problemen.“

Von Mutationspanik rät er ab: „Angst ist völlig fehl am Platz“, erklärt er und kritisiert auch einige seiner Kollegen. Dass sich ein Virus verändert, ist laut dem Experten „nichts Sensationelles, sondern ganz normal“, seinen Kollegen mangele es seiner Auffassung nach oft an der nötigen Weitsicht, sie fokussieren sich zu sehr auf das molekulare Virus.

Ist der Lockdown wirklich alternativlos? Experten sagen Nein.

Lange Zeit galt der Lockdown als alternativlos. Bei Lanz, Illner, Maischberger & Co wurde immer wieder diskutiert, ob es Alternativen gäbe, bis vor wenigen Wochen hieß es unisono pauschal „nein, gibt es nicht“.

Wer etwas anderes behauptete, wurde in die Ecke von Attila Hildmann, Xavier Naidoo und anderen grundverwirrten Menschen gestellt. Liegt man also nicht auf Regierungslinie, dann muss man ja auch an geheime Tunnelgänge, in denen die Elite Kinder foltert, glauben, und daran, dass Angela Merkel nachts einen Satansthron besteigt. Mit Sachlichkeit hatte das zwar noch nie etwas zu tun, war aber ein perfektes Instrument, um jeden Zweifel an den Maßnahmen der Regierung schnell auszuräumen.

Dazu kommt, dass der MPK meist eine „Expertenberatung“ der Regierung vorausgegangen ist. Man konnte sich also immer noch auf (vermeintlich) unabhängige Experten berufen, die Fakten dafür geschaffen haben, dass die Regierung mit ihren Maßnahmen genau richtig liegt. Wenn man sich jedoch mal anschaut, von wem die Regierung sich hat beraten lassen, wird schnell klar, dass von Unabhängigkeit nicht mehr die Rede sein kann.

In den letzten Wochen wurden daher vermehrt Stimmen laut, die deutliche Zweifel an den aktuellen Maßnahmen äußern. Teilweise wird die rechtliche Grundlage für die Maßnahmen angezweifelt, teilweise werden aber auch andere oder ergänzende Maßnahmen vorgeschlagen. Und das von ausgewiesenen Experten. Es wird also immer schwerer, andere Meinung einfach so beiseite zu wischen.

Inzidenz als alleiniger Messwert absolut ungeeignet

Immer mehr Fachleute bemängeln, dass die bekannte 7-Tage-Inzidenz als alleiniger Messwert ungeeignet ist. Dieser Wert hängt von vielen Faktoren ab, die absolut nichts mit dem aktuellen Infektionsgeschehen zu tun haben.

Es reicht schon, wenn Ergebnisse verspätet an das RKI gemeldet werden – bis Ende 2020 haben die meisten Gesundheitsämter ihre Zahlen tatsächlich noch wie vor 10 Jahren per Fax an das RKI melden müssen, weil auch ein Jahr nach Pandemiebeginn immer noch keine ausreichende IT-Ausstattung in den Ämtern vorhanden war. Selbst heute melden einige Kommunen ihre Zahlen immer noch per Fax an das RKI, obwohl das seit Jahresbeginn eigentlich nicht mehr zulässig ist.

Den Gesundheitsämtern kann man wohl kaum einen Vorwurf machen, in Sachen Digitalisierung versagt unsere Regierung seit Jahren. Noch vor acht Jahren hat die Bundeskanzlerin festgestellt, dass das Internet absolutes Neuland sei – bis heute hat sich daran in CDU/CSU offensichtlich nicht viel geändert.

Aber auch weniger durchgeführte Tests wirken sich sofort auf die Inzidenz aus, oder vermehrt durchgeführte Tests, weil es etwa einen Ausbruch in einer Pflegeeinrichtung gegeben hat. Dass die Regierenden die Zahlen ohnehin sehr eigenwillig interpretieren, haben wir bereits beleuchtet.

Alternative Schutzkonzepte gibt es schon lange

Dass es nicht nur einen Lockdown als Maßnahme geben kann, bzw. darf, argumentieren viele Wissenschafler schon lange – nur blieben sie damit bisher ungehört.

Jetzt, wo klar wird, dass der Lockdown als (einzige) Maßnahme ganz offensichtlich ungeeignet ist – nachdem der Inzidenzwert in den letzten Tagen stagnierte, steigt er heute wieder leicht -, schenkt man anderen Meinungen mehr Aufmerksamkeit. Die Verantwortlichen aus der Politik nehmen offensichtlich von ihrem bisherigen Tunnelblick etwas Abstand.

Matthias Schrappe, Kölner Medizin-Professor und ehemalige Berater des Bundes in Gesundheitsfragen, argumentiert schon seit dem Frühjahr 2020 gegen den Lockdown als einzige Maßnahme.

Anstelle eines Lockdowns fordert er einen besseren Schutz der besonders gefährdeten Menschen. Vorschläge, wie so etwas konkret aussehen kann, hat er mit seiner Arbeitsgruppe, allesamt Gesundheitsexperten, in umfassenden Thesenpapieren dargestellt.

Sein erstes Dokument trägt den vielversprechenden Titel „Datenbasis verbessern, Prävention gezielt weiterentwickeln, Bürgerrechte wahren“ und datiert bereits auf den 5. April vergangenen Jahres. Wirkliche Beachtung findet es erst heute.

Die aktuelle Strategie der Regierung bezeichnet er in einem Interview mit dem FOCUS als „haltlos, hoffnungslos und sinnlos“. 20.000 Menschen seien in Alten- und Pflegeheimen bereit seit dem Zeitpunkt verstorben, zu dem er eine Schnellteststrategie gefordert habe: „Es hat zehn Monate gedauert, bis sich da etwas bewegt hat“.

Berliner Amtsärzte widersprechen der Regierung

Sogar die Amtsärzte unserer Hauptstadt widersprechen mittlerweile öffentlich der Politik, die die Kanzlerin, der Gesundheitsminister und die MPK betreiben: „Es sei »nicht zielführend, Eindämmungsmaßnahmen an Inzidenzen von 20/35/50« zu koppeln, heißt es laut dem »Tagesspiegel« in einer Stellungnahme aller zwölf Amtsärzte für die Senatskanzlei.“, wie der SPIEGEL heute berichtet.

Dabei herrscht seltene Einigkeit unter den Amtsärzten.

Perspektivlosigkeit muss Plänen weichen, Fehler müssen eingestanden werden

Seit über einem Jahr befinden wir uns alle mehr oder weniger in einem passiven Schockzustand. Die Regierung verbreitet Angst, anstatt Hoffnung oder Strategien zu präsentieren.

Oft wurde von „Öffnungsorgien“ gesprochen, die indiskutabel seien. Das ist allerdings die total falsche Betrachtungsweise: niemand muss Öffnungen argumentativ belegen, sondern die Notwendigkeit von anhalten Grundrechtseinschränkungen müsste mindestens wöchentlich immer wieder neu beraten und nachvollziehbar dargelegt werden.

Kurzzeitig hat die Politik versucht, von „Privilegien“ oder „Sonderrechten“ zu sprechen, musste aber schnell zurückrudern, als die Kritik daran zu laut wurde.

Selbst der regierungstreueste Bürger hat erkannt, dass Grundrechte keine Privilegien sind, die die Politik gönnerhaft gewähren kann, oder eben auch nicht. Es sind die grundgesetzlich verbrieften Abwehrrechte der Bürger gegen den Staat.

Würden die Kanzlerin und der Gesundheitsminister endlich so viel Ehrlichkeit finden, und eingestehen, dass auch ihnen Fehler unterlaufen sind, und das ganze mit einem neuen Plan präsentieren, würde das unter Garantie auch wieder das Vertrauen in die Politik stärken. Wenn die Politik aber immer nur mit neuen Verboten aufwarten kann, sinkt das Vertrauen in die Maßnahmen auch weiterhin.

Die Doppelmoral, mit der besonders die CDU auffällt, ist einfach nur noch unverschämt. Die Regierungspartei, der die Bundeskanzlerin und der Gesundheitsminister angehören, fordern vehement die härtesten Grundrechtseinschränkungen seit dem zweiten Weltkrieg, tagen dann aber selber auf kommunaler Ebene ohne entsprechende Masken. Dreister geht es kaum noch.

Dass die Menschen unzufrieden sind, kann man der täglichen Presse entnehmen. Es vergeht eigentlich kein Tag mehr, an dem nicht von irgendeiner aufgelösten Party berichtet wird, die Menschen wollen wieder ein Stück weit Normalität.

Anstatt sich aber damit zu beschäftigen, wie man dieses Bedürfnis unter Beachtung der aktuellen Situation wahren kann, wird mit weiteren Verboten, Bußgeldern und Kontrollen reagiert.

Teilweise mit Maßnahmen, bei denen selbst die Stasi neidisch geworden wäre. Und das, obwohl es durchaus fachlich fundierte Konzepte gibt, die genau das ermöglichen würden.

Die Fallzahlen häuslicher Gewalt steigen, immer mehr Betriebe gehen in die Insolvenz, die Anzahl verhaltensauffälliger Kinder nimmt rapide zu. Die vielfach angepriesenen Corona-Hilfen wurden bisher nur im einstelligen Prozentbereich ausgezahlt, Corona-Bußgelder wurden hingegen im zweistelligen Millionenbereich eingenommen, deren Eintreibung teilweise auch zwangsweise vollstreckt.

Es gibt sogar Richter, die ganz unverhohlen damit drohen, das Bußgeld erheblich anzuheben, sollte man seinen Widerspruch in einem entsprechenden Verfahren nicht zurücknehmen.

Fluggesellschaften hingegen bekommen Milliardenhilfen, der FC Bayern jettet durch Europa und ist sogar offensichtlichen von der Quarantänepflicht befreit. Millionäre dürfen also weiterhin ihrem Sport nachgehen, Amateursportler hingegen begehen eine Ordnungswidrigkeit, wenn sie ihrem Sport nachgehen wollen. Immunsystem stärken? An der frischen Luft sein, wo die Virenlast um ein tausendfaches geringer ist, als in der eigenen Wohnung? Verboten.

Würde ein normaler Bürger das einfordern, was dem FC Bayern von unserer Politik zugestanden wird, würde er in einen eigens hierfür eingerichteten „Corona-Knast“ eingesperrt werden. Sich „freitesten“, wie es der Profisport macht, ist dem normalen Bürger verboten. Die Politik schafft eine Zweiklassengesellschaft, erkennt aber immer noch keine Fehler in ihrem Handeln.

Solange das Geklüngel aus den Länderchefs, der Kanzlerin und dem Gesundheitsminister weiterhin an seiner Linie festhält, wird sich nicht viel ändern, außer dass die Leute jetzt frisch frisiert in den nächsten Lockdown rutschen.